Stahlhut - Hupac: „Das können Sie bis null denken“ 02/02/21

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Source: https://www.dvz.de/rubriken/detail/news/das-koennen-sie-bis-null-denken-warum-nicht.html

 

 

02. Februar 2021

Trassenkosten runter, Gebühren für Stornierungen ebenfalls: Hupac-CEO Michail Stahlhut hat klare Vorstellungen, wie die EU ihren Green Deal absichern sollte. Dazu gehört auch eine vorübergehende Kompensation dafür, dass Operateure noch nicht überall die mögliche Zuglänge von 740 m ausnutzen können.

DVZ: Herr Stahlhut, Sie sind nun seit rund 900 Tagen bei Hupac. An wie vielen haben Sie den Wechsel von einem Eisenbahnunternehmen zu einem Operateur schon bereut?

Michail Stahlhut: An keinem einzigen! Ich sehe nun noch deutlicher, was beim System Eisenbahn alles geht – und das ist eine ganze Menge mehr, als heute bereitgestellt wird.

Dann hätten Sie in den acht Jahren an der Spitze von SBB Cargo International also einen besseren Job machen können…

(lacht)

… im Nachhinein betrachtet können Sie natürlich einen Job immer besser machen. Aber es ist definitiv so, dass der Blick im Eisenbahnkosmos ein anderer ist als der von außen – viel mehr planungs- und assetgetrieben. Heute würde ich sagen: Die Bahn kann mehr. Und angesichts der ehrgeizigen Ziele der EU mit ihrem Green Deal wird klar, dass die Bahn auch mehr leisten muss.

Wie kann die EU diese großen Ziele erreichen?

Ich fange mal damit an, wie sie es nicht erreicht oder doch ihr Ziel erheblich gefährdet: indem sie, wie jetzt im Mobilitätspaket I vorgesehen, intermodale Verkehre verteuert. Die UIRR hat das ja gerade in einer Studie durchrechnen lassen. Wer Vor- und Nachläufe mit internationalen Verkehren auf der Straße gleichstellt und sie einem Kabotagevorbehalt unterwirft, tut genau das.

Die Politik will damit den Missbrauch von Sozialvorschriften auf der Straße auch in Zusammenhang mit dem Kombinierten Verkehr bekämpfen.

Natürlich müssen Regeln eingehalten werden. Aber einen solchen Missbrauch kenne ich nur vom Hörensagen. Nachvollziehbare Zahlen habe ich dazu jedenfalls noch nicht gesehen. Doch selbst wenn es das gäbe: Warum wird nicht konsequent kontrolliert und ein Verstoß hart bestraft? So aber schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Mit Maßnahmen wie jetzt im Mobilitätspaket I vorgesehen verschärfen wir nur den Fahrermangel. Und wir zwingen ausländische Fahrer, die jetzt Vor- und Nachläufe im Kombinierten Verkehr fahren, auf die Langstrecke auf der Straße. Das kann nicht gewollt sein.

Der EU-Verkehrspolitiker Ismail Ertug hat der UIRR vorgeworfen, sie wolle „Sozial- und Preisdumping unter dem Deckmantel des Klimaschutzes“. Können Sie das nachvollziehen?

Natürlich. Keiner will so was – weder auf der Schiene noch auf der Straße. Aber warum legt die EU so unterschiedliche Maßstäbe an? Für jeden illegal durchgeführten Transport im Vor- oder Nachlauf zum Kombinierten Verkehr gibt es Hunderte auf der Straße, und da passiert kaum etwas.

Zurück zum Green Deal: Sie haben sicher auch Ideen, wie die Politik die Bahn als ihren Hoffnungsträger im europäischen Güterverkehr unterstützen kann.

Klar! Wenn intermodaler Verkehr konsequenter in den Mittelpunkt gestellt würde, könnten die Ziele des Green Deals sogar noch ambitionierter ausfallen! Trassenkosten müssen sinken, Abbestellungs- und Stornogebühren ebenso. Das können Sie gern bis null denken – warum nicht? Dann brauchen wir unbedingt eine temporäre Kompensation für Unterlänge: Solange ein Netz nicht für 740 m lange Güterzüge ertüchtigt ist, muss es für jeden Kombizug einen Ausgleich dafür geben, dass er seine volle Länge nicht nutzen kann. Und 740 m sind für das gesamte europäische TEN-T-Netz anzulegen.

Dänemark hat gerade das gesamte Netz für Trailertransporte auf der Schiene gesperrt, weil Zweifel an der Sicherheit der Waggons bestehen. Wie beurteilen Sie Gefahr und Maßnahmen?

Im September vergangenen Jahres gab es auf der Autobahn A40 im Ruhrgebiet einen Lkw-Unfall, bei dem Menschen verletzt und zwei Brücken irreparabel beschädigt wurden. Nach der Logik, die jetzt in Dänemark angelegt wird, hätte man nach dem Unfall das gesamte Ruhrgebiet für Tank-Lkw sperren müssen, denn solche Fahrzeuge sind einfach zu gefährlich. Hat man aber nicht – zu Recht! Und man hätte auch auf dem dänischen Schienennetz kein Fahrverbot verhängen dürfen. Da wurde eindeutig überreagiert.

Wie hätten Sie denn anstelle der für die Sicherheit zuständigen Behörde entschieden?

Jedenfalls nicht mit einem Generalverbot für alle Trailer auf dem gesamten Netz, sondern mit risikomindernden Maßnahmen, die punktuell bis zur Klärung der Sachlage eingesetzt werden. Zum Beispiel Langsamfahrten, Vermeiden von Gegenverkehr, Transportverbot für leere Trailer. Aber selbstverständlich geht Sicherheit immer vor. Deshalb muss man sofort prüfen, wo die Schwächen liegen, und sie abstellen.

Wie schwer wiegen für Sie die Bedenken, dass die Verriegelung in den Taschenwagen nicht zuverlässig funktioniert?

Ich habe dazu noch keine Expertise gelesen. Aber in Europa werden Jahr für Jahr Hunderttausende von Trailern über Millionen Kilometer unfallfrei auf der Schiene transportiert. Die Waggon- und Sicherungstechnik ist ausgereift und zuverlässig. Was nicht heißt, dass nicht doch mal ein Trailer falsch verladen oder nicht zuverlässig gesichert wird – wo Menschen arbeiten, machen sie auch Fehler. Ich habe ein gefährliches Ereignis wie jetzt in Dänemark aber noch nicht erlebt.

Lassen Sie uns einen Blick zurück werfen auf das Coronajahr 2020. Was hat es mit Hupac gemacht?

Nichts Gutes – aber auch nichts so Schlimmes, wie wir zunächst befürchtet hatten. Insgesamt sind wir mit einem ganz leichten Volumenverlust herausgekommen und wieder über der Millionengrenze gelandet – dank eines starken Jahresbeginns und wieder anziehender Verkehre im letzten Quartal. Unsere Wachstumsziele mussten wir aber gewaltig zurückschneiden.

Und finanziell?

Wir haben unser Netz trotz Unterauslastung stabil gehalten. Das hat viel Geld gekostet. Aber der Schweizer Staat hat mitgeholfen, das Ganze erträglich zu halten – mit für alle Anbieter gleichen Vergünstigungen übrigens. Und ins laufende Jahr sind wir ähnlich stark gestartet, wie wir 2020 beendet haben – das lässt hoffen.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit aus diesen dramatischen Monaten?

Erstens: Kombinierter Verkehr kann extrem pünktlich sein – wenn der Kapazitätsdruck im System sinkt. Das sollten alle Netzbetreiber jetzt verinnerlicht haben. Zweitens: Wir müssen im Kombinierten Verkehr noch viel flexibler werden. Trassenanmeldungen über Monate vorweg funktionieren nicht mehr. Trassen müssen industriell geplant und kurzfristig realisiert werden. Drittens: Wir brauchen leistungsfähige Bypässe für Flaschenhälse im Netz. Viertens: Wir brauchen im Güterverkehr einen „Deutschlandtakt in Europa“, also eine leistungsfähige, vertaktete Verbindung zwischen den großen Wirtschaftszentren. Und fünftens: Ich sollte nie am Jahresende denken, dass es verrückter nicht mehr werden kann.

Michail Stahlhut

Der gebürtige Westfale steht seit Juni 2020 an der Spitze der schweizerischen Hupac-Gruppe. Zuvor hatte er knapp zwei Jahre die Tochtergesellschaft Hupac Intermodal geleitet. Stahlhut hat in den Jahren zuvor reichlich Bahnerfahrung gesammelt. So führte er vor seinem Wechsel zu Hupac acht Jahre lang als CEO die Traktionsgesellschaft SBB Cargo International. Außerdem stehen je vier Jahre bei Arriva Deutschland und bei DB Cargo in seiner Vita.

 

Artikel

von Heinrich Klotz

 

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