Schienengüterverkehr: Wunschliste an die Bahn 20/03/21

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Source: https://www.derstandard.at/story/2000125088200/schienengueterverkehr-wunschliste-an-die-bahn

 

Schienengüterverkehr: Wunschliste an die Bahn

Nach dem Vorbild Österreichs soll in Deutschland zwar ein Modal Split von 25 Prozent im Güterverkehr erreicht werden. Potenzielle Kunden sind mit dem Angebot wenig zufrieden

Stefan May 20. März 2021

 

Weichenstellungen für die Zukunft des Schienengüterverkehrs werden in Deutschland derzeit diskutiert.

Individualisierung, boomender Onlinehandel, kritische Zeitfenster: Vor diesem Hintergrund würden sich die Aufgaben der Logistik abspielen, sagt Uwe Clausen, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik. Wesentlich sei es, Mengen und Frachten zu bündeln, Tracking und Tracing.

Dabei ist es entscheidend, wie die Waren transportiert werden. 2030 will Deutschland dort sein, wo Österreich schon lange ist: bei 25 Prozent Anteil für die Bahn im Güterverkehr. Die Teilnehmer eines Digitalforums, das vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen veranstaltet wurde, waren sich einig: Die Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist eine unbestreitbare Notwendigkeit, doch der Weg zu den 25 Prozent stellt eine große Herausforderung dar.

"Der Straßengüterverkehr ist wirklich nicht vergnügungssteuerpflichtig", räumte etwa Carsten Taucke ein, Präsidiumsmitglied im Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen, einem Dachverband für 150.000 Unternehmen. "Die Infrastruktur in Deutschland ist eine absolute Katastrophe. Keines unserer Mitglieder will die Straße nutzen, aber wegen des Netzes und der Kapazität ist sie Mittel der Wahl."

Lippenbekenntnisse für die Bahn müssten deshalb zum Leben erweckt werden, sonst werde alles wie schon in den letzten Jahrzehnten verpuffen. "Wir haben Lenkzeiten, Diesel, Maut, Fahrermangel und den Zustand der Straßen", klagte Taucke. "Es kostet uns ein Vermögen, Termine nicht einhalten zu können."

Hausaufgaben machen

Aus den Mitgliedsbetrieben komme herbe Kritik, sagte der Verbandssprecher, weshalb Taucke denen zurief, die Gleisanschlüsse wollen: "Ja, verdammt, dann macht doch mal." Auch vorhandene Anschlüsse könnten nicht genutzt werden, weil sie die Bahn nicht anfahre. "Es müsste doch ein Leichtes sein, dass es zur Auflage wird, dass ein Terminal einen Gleisanschluss erhält, wenn die entsprechenden Industrien dort sind. Wir testen gerade vollelektrische Trailer. Wenn man die auf die Bahn bringen könnte, mache ich morgen mit."

Mit 1. März hat der Bund immerhin seine Förderungen für Anschlussbahnen erhöht. Bis zu 50 Prozent der Kosten werden seither für den Neu- und Ausbau, die Reaktivierung und den Erhalt bestehender Gleiszugänge ins bundesweite Schienennetz übernommen. Das bedeutet eine Abkehr von der Anschlussbahnpolitik vergangener Jahre. Bisher galt das Ansuchen um Förderung in Deutschland auch als sehr kompliziert.

Förderung für Investitionen

Deutschland verfügt laut Bundesnetzagentur über 1300 Gleisanschlüsse. 60 Prozent davon sind teilweise oder ganz geschlossen. Nun will der Staat mehr in kleinere und mittlere Güterbahnhöfe investieren. Neu ist dabei eine Förderung von bis zu 80 Prozent der Investitionskosten in multifunktionale Umschlagpunkte. Beim Bau eines Industrie- und Gewerbegebiets soll der Anschluss an das Schienennetz bereits mitgedacht und mitgeplant werden.

Dementsprechend versuchte Steffen Bilger, parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, herauszustreichen, dass sehr wohl viel für den Bahntransport getan werde, konkret mit einer Milliarde Euro mehr im Haushalt für die Schiene als voriges Jahr. "Nächstes Jahr wird die Schiene erstmals mehr Geld erhalten als die Straße", sagte Bilger. "Das ist insofern beachtlich, als derzeit noch dreimal so viele Güter auf der Straße als auf der Schiene transportiert werden, und das zeigt das politische Bekenntnis."

25 Prozent auf der Schiene seien nicht unerreichbar, wenn jetzt die Hausaufgaben gemacht würden, sagte der Verkehrs-Staatssekretär: "Es müssten alle Güter schienenaffin sein. Auch Lebensmittel sollen auf der Schiene klimaneutral transportiert werden. Die Bahn liefert zuverlässig, das haben wir in der Corona-Krise gesehen." Zudem seien Kommunen und Landkreise bis Ende August aufgerufen, Machbarkeitsstudien zur Beförderung von Gütern im ÖPNV zu erstellen.

 

Kombinierter Verkehr

Auch Joachim Berends, Vorstand der Bentheimer Eisenbahn, bezeichnete das Ziel von 25 Prozent Marktanteil bis 2030 als Herausforderung. Er forderte mehr Vernetzung mit der Wirtschaft. Aber: "Es geht auch nicht darum, die letzte Meile abbilden zu können. Wir sehen die Bahn im Langstreckenbereich um die 200 Kilometer.

Da kann Schienengüterverkehr wachsen." Konkret nannte er die Bereiche kombinierter Verkehr und Ganzzüge. "Der Nachholbedarf beim Ausbau der Bestandsnetze ist gigantisch", sagte Berends. Die Verkehrsleistung des Schienengüterverkehrs müsse von 129 Milliarden Tonnenkilometer im Jahr 2019 auf etwa 210 Milliarden Tonnenkilometer, um rund 60 Prozent, wachsen.

Deshalb seien auch die Zugänge zur Schiene für die verladende Wirtschaft zu verbessern, tri- und multimodale Zentren auszubauen. "Die Railports der Deutschen Bahn sind ein guter Ansatz, auch im Hinblick auf den Onlinehandel, um Mengen für die Bahn zu erreichen." Nötig sei auch eine Trassenpreisförderung für die nichtbundeseigenen Eisenbahnen.

Schwierige Revitalisierung

Laut der Technischen Universität Berlin könnte ein Drittel der CO2-Emissionen durch Verlagerung von der Straße auf die Schiene eingespart werden. "Aber das Schienennetz ist an vielen Stellen veraltet und seit der Bahnreform 1992 um 20 Prozent kürzer geworden", sagte Taucke.

Eine Revitalisierung sei extrem schwierig geworden. Der Sprecher des Großhandels ließ zahlreiche andere Kritikpunkte seiner Mitgliedsbetriebe folgen: "Nach wie vor wird die Termintreue bemängelt, die Unzuverlässigkeit, Gleisanschlüsse haben an Bedeutung verloren. Es fehlt an einem schnellen internationalen Streckennetz."

First/Last-Mile-Konzepte seien ebenso notwendig wie die Optimierung von Be- und Entladekonzepten. Taucke: "Die Personenverkehrsbevorzugung ist eine deutliche Benachteiligung des Güterverkehrs." Dessen Anteil auf der Schiene müsse steigen, es dürfe nicht bei Symbolpolitik bleiben. (Stefan May, 20.3.2021)

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