Barrierefreier Bahnzugang 15/10/19
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Barrierefreier Bahnzugang

Die Eisenbahn wird neue Märkte und Mengen im Güterverkehr nicht mit herkömmlichen Produktionsformen wie Einzelwagenverkehr und etablierten Techniken des Kombinierten Verkehrs erschließen können. Die Zahl der Kunden mit Anschlussgleis stagniert oder fällt, der Kombinierte Verkehr verursacht Mehrkosten und Wartezeiten, gebrochener Verkehr mit Cross Docking ist erst ab bestimmten Entfernungen wettbewerbsfähig. Um Ladungsmengen, die in Sattelaufliegern verladen sind, auf die Schiene zu bekommen, bedarf es mehr oder weniger barrierefreier Zugänge ohne große Infrastrukturanforderungen.
„Barrierefreier Zugang“ bedeutet in diesem Zusammenhang „höhengleicher Übergang von einem Verkehrsträger auf den anderen“. Intermodale Transportlösungen, die sich auf horizontalen Umschlag stützen, erfüllen diese Anforderung meist. Zwei solcher Lösungen stehen vor der Markteinführung: Die bimodale Technologie, also Kombination von Eisenbahn-Drehgestellen mit bahnfesten Sattelaufliegern, sowie die „Megaswing“-Tragwagen, deren Ladefläche seitlich ausschwenkbar ist. Beide Technologien verschaffen der Eisenbahn Zugang zu Märkten, die für sie bisher nicht zugänglich sind.
Neuer Anbieter am Start
Mit Megaswing-Tragwagen will die Firma Helrom GmbH, Frankfurt/Main, den europäischen Markt für den Transport nicht krankbarer Trailer erobern. Die „Megaswing“-Wagen des schwedischen Herstellers Kockums Industries ähneln den Modalohr-Wagen, die ebenfalls seitlich ausschwenken. Dadurch können gleichzeitig mehrere LKW-Trailer ver- oder entladen werden.
Helrom hat die patentierte Technologie gekauft. Zum Einsatz kommen soll sie auf der Relation Wien–Duisburg mit zunächst einem täglichen Zug je Richtung. Der Nachfrage entsprechend sollen Jahr für Jahr weitere Korridore hinzukommen. Helrom denkt an 50 Korridore bis 2026. Das Netz würden dann von Stockholm im Norden bis Rotterdam im Westen, Perpignan im Süden und an die bulgarisch/türkische Grenze im Osten reichen.
Das Potenzial halten die Betreiber für groß. Mehr als 70 Prozent des Güterverkehrs laufen auf der Straße, 90 Prozent der Sattelauflieger sind nicht kranbar. Der tägliche Pendelbetrieb führt zu hoher Ressourcennutzung und damit zu niedrigen Stückkosten. Helrom will die Vermarktung selbst übernehmen, um die Marge des Operateurs einzusparen. Ein Zug umfasst 20 Wagen mit 40 Stellplätzen für Auflieger. Eine besondere Terminalinfrastruktur ist nicht erforderlich, allenfalls bedarf es eines Generators zur Versorgung der Waggons mit Strom für das Ein- und Ausschwenken der Ladefläche. Be- und Entladung können auf jedem Gleis stattfinden, das in eine befestigte Oberfläche eingebettet ist.
Helrom beabsichtigt, als Eisenbahnverkehrsunternehmen tätig zu werden. Die Lokomotiven will das Unternehmen leasen beziehungsweise mieten; die Lokführer sollen aus dem eigenen Haus kommen. Das Unternehmen übernimmt zudem die Rolle des Halters sowie der Instandhaltungsstelle (ECM) für die Waggons. Die Wagen für den ersten Zug wurden im Lauf des Jahres 2019 gebaut und zugelassen.
Helrom-Geschäftsführer sind Keith Heller und Roman Peter Noack. Geschäftsgegenstand ist unter anderem die Erbringung von Eisenbahndienstleistungen und der Betrieb privater Umschlagterminals. Heller war zwischen 2004 und 2011 Chef der britischen Güterbahn EWS, die 2005 von DB Cargo übernommen wurde.
Bimodale Technologie
Leicht, leise, laufstark, logistikfähig, life-cycle-cost-orientiert – bimodale Transportsysteme erfüllen von Haus aus bereits die „5-L-Anforderungen“, die an den innovativen Güterwagen gestellt werden. Für bimodalen Verkehr benötigen Eisenbahnen nur spezielle Laufwerke mit Abstützmöglichkeiten für Sattelauflieger. Die Auflieger müssen bestimmte konstruktive Anforderungen erfüllen, was sie gegenüber herkömmlichen Trailern schwerer und teurer macht. Während der Schienenfahrt hängen sie zwischen zwei Drehgestellen, wobei sich zwei Trailer jeweils ein Laufwerk teilen.
Mit der innovativen Technik wird Platooning auf der Schiene möglich. Die Telematik des Straßenfahrzeugs kann für den Schienentransport genutzt werden. Da die waggonlosen Züge leicht sind, lassen sie sich einfacher in Taktfahrpläne integrieren. Das kostenintensive Sammeln und Verteilen der Wagen entfällt. Eisenbahnen müssen lediglich die Laufwerke vorhalten. Mit selbstlenkenden Achsen verursachen diese weniger Lärm als herkömmliche Wagen. Gegenüber diesen liegen auch die Wartungskosten um 30 bis 50 Prozent niedriger. An Infrastruktur ist nur ein einbetoniertes Gleis in einer LKW-Aufstellfläche erforderlich.
Lösung für Einzelwagenproblem
Mit bimodaler Technik und Helrom-Megaswing-Zügen könnte es den Bahnen gelingen, die Problematik des Einzelwagenverkehrs zu lösen. Einzelwagen haben durch aufwendige Sammlung und Verteilung nur bei bestimmten Gutarten und Leistungsanforderungen Chancen im Verkehrsträgerwettbewerb. Für zeitkritische leichte Güter eignet sich die Produktionsform nach verbreiteter Ansicht selbst innerhalb der Bahnbranche nicht. Die sprunghaft steigenden Mengen des Onlinehandels können auch mit den bestehenden Systemen und Angeboten im Kombinierten Verkehr nicht anforderungsgerecht abgefahren werden. Angesichts der Diskussion um den Erhalt des Einzelwagenverkers kommt der barrierefreie Bahnzugang also zur rechten Zeit.
Der Waggon
Der Megaswing kann einen Auflieger in drei Minuten vollständig verladen. Dazu wird die Sicherung der Waggontasche mit dem Waggonunterbau gelöst, der Waggon mit Hydraulikstützen stabilisiert und die Ladefläche nach links oder rechts geschwenkt. Die Stützen, die nur beim Schwenkprozess benötigt werden, werden wieder eingefahren, damit der Sattelschlepper den Auflieger rückwärts auf die Waggonplattform schieben kann, ohne behindert zu werden. Um den Auflieger sicher zu verstauen, wird die Ladeplattform angehoben und zurückgeschwenkt. Sobald sich die Waggontasche wieder in Endposition befindet, wird der Auflieger leicht abgesenkt und ist fest mit dem Waggon verbunden. Die Ladezeit für einen gesamten Zug beträgt etwa 30 Minuten. Die Waggons sind einzeln und von beiden Seiten beladbar. Für die Verladung wird eine Person zum Bedienen der Hydraulik und zur Kontrolle benötigt. Das Abladen verläuft in umgekehrter Reihenfolge.