Droht der Kollaps für Güter? Notlösung für die Rheintalbahn gefordert 25/08/22

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Source: https://www.eurotransport.de/artikel/droht-der-kollaps-fuer-gueter-notloesung-fuer-die-rheintalbahn-11212746.html

 

Droht der Kollaps für Güter?Notlösung für die Rheintalbahn gefordert

Rastatt - Reparaturarbeiten Hochrheinstrecke

Baustellen ohne Ende und kaum Ausweichstrecken - auf der Rheintalbahn als wichtigstem europäischen Eisenbahnkorridor für Güter droht der Verkehr zu kollabieren. Es gibt eine Notlösung

Der Güterverkehr auf der Schiene soll die Straße entlasten, das Niedrigwasser auf dem Rhein auffangen und nicht zuletzt das Klima retten. Angesichts zahlreicher Baustellen auf der viel zu lange vernachlässigten Infrastruktur erscheint das wie die Quadratur des Kreises. Dabei gäbe es zumindest für den wichtigsten europäischen Bahnkorridor, der von der Nordsee den Rhein entlang bis nach Italien führt, eine Hilfslösung. Denn der Rhein ist nicht nur eine wichtige Verkehrsader für Binnenschiffe, sondern sein Tal ist die meistbefahrene Güterbahnstrecke in Europa. Bei ihrem Ausbau auf vier Gleise hängt Deutschland dem Zeitplan inzwischen um Jahrzehnte hinterher.

Über Frankreich nach Basel

Jetzt geht es darum, zu retten, was zu retten ist: Güterzüge könnten auf der zu Frankreich gehörenden linken Rheinseite in Richtung Schweizer Alpen fahren, die Verbindung Wörth–Lauterbourg–Strasbourg wird derzeit lediglich vom dieselgetriebenen Nahverkehr der französischen Eisenbahn SNCF genutzt. Bislang verhallen entsprechende Vorschläge von Bahnunternehmen im Berliner Verkehrsministerium offenbar ungehört. Dabei könnte die völlig überforderte deutsche Rheinschiene so vergleichsweise schnell entlastet werden, was sich auch angesichts einer geplanten einmonatigen Vollsperrung im Jahr 2024 anbieten würde. Zudem muss auf dem Schifffahrtsweg angesichts der Klimakrise in den kommenden Jahren verstärkt mit Niedrigwasser-Engpässen gerechnet werden.

Schweiz finanziert Ertüchtigung mit

Voraussetzung für die Aktivierung der Route links des Rheins wäre Grenzen überschreitendes Denken im gemeinsamen Interesse. Den Schweizern jedenfalls ist die Sicherung der Zuläufe zu ihren Alpentunneln so wichtig, dass sie die Modernisierung der Strecke in Frankreich mitfinanzieren wollen, damit „eine Parallelführung entsteht, die dem Baustellenchaos ein Ende bereitet und sowohl den Transit-, als auch den für die Schweizer Wirtschaft wichtigen Import- und Exportverkehr sicherstellt.“ Das Vorhaben ist bereits vom Parlament gebilligt.

Branche sieht Versorgung gefährdet

Auch die deutsche Wirtschaft könnte von einer linksrheinischen Ausweichstrecke profitieren. Denn nach dem traurigen Jubiläum des Tunneleinsturzes von Rastatt vor fünf Jahren ist die Lage auf der Rheintalbahn weiterhin desaströs: „Baustellen, technische Störungen und unzureichende Umleiterstrecken belasten den Betrieb in einem derartigen Ausmaß, dass ein regulärer Güterverkehrsbetrieb kaum mehr möglich ist“, beklagen Unternehmen aus der Schweizer Bahnbranche die Situation. SBB Cargo International, BLS Cargo, Hupac und VAP sehen die Versorgung gefährdet und mahnen „gezielte Maßnahmen zur Absicherung der Kapazität und zur Stabilisierung des Betriebs“ an.

60 Güterverkehrstrassen mehr pro Tag

Die linksrheinische Bahnlinie sei dank der Streckenführung im Flachland und guten Voraussetzungen beim Profil eine ideale Ergänzung und Alternative zur Route durch Deutschland, betonen sie und setzen auf schnellstmögliche Ertüchtigung. Mit relativ geringen Mitteln lasse sich innerhalb weniger Jahre eine zusätzliche Kapazität von 60 Güterverkehrstrassen pro Tag realisieren. Denn: Mit der Fertigstellung der vierspurigen Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel ist erst zwischen 2040 und 2045 zu rechnen.

Vollsperrung Rheintalbahn 2024

Wichtig sei, dass die Infrastrukturbetreiber in Deutschland, Frankreich und der Schweiz bereits jetzt einen gemeinsamen durchgehenden Trassenkatalog erstellen, um eine möglichst hohe Anzahl von Güterzügen stabil und flüssig durch das Nadelöhr zu leiten. Zur Vollsperrung 2024 sollte es deutschsprachigen Lokführern auch vorübergehend erlaubt sein, auf der Strecke in Frankreich zu fahren. Das dürfen sie derzeit nicht, aber mithilfe einer Sprach-App wäre die Kommunikation mit den französischen Leitstellen möglich.

Planungen von DB Netz kritisiert

Doch es hapert nicht nur an der internationalen Zusammenarbeit. Insbesondere der Infrastrukturbetreiber DB Netz wird für seine unbegreifliche Baustellenplanung stark kritisiert. Es gehe doch darum, Verkehr zu ermöglichen und nicht zu verhindern, betont der europäische Eisenbahnverband NEE. So stand lange fest, dass die Rheintalbahn vom 1. August bis 5. September 2022 an sechs Wochenenden gesperrt werden würde. Das habe DB Netz aber nicht davon abgehalten, die bisher leistungsfähigste Umleitung, die Gäubahn zwischen Stuttgart und dem Bodensee, vom 29. Juli bis 11. September ebenfalls zu sperren. Hier hätten rund 40 Prozent der Züge von der Rheinschiene fahren können.

Alptraum Generalsanierung?

Für die Güterbahnen wiederholt sich damit ein Trauma. Denn auch zum Zeitpunkt der Havarie in Rastatt im Sommer 2017 war die Gäubahn sieben Wochen lang gesperrt. Angesichts des fragwürdigen Managements muss den Bahnunternehmen die von der DB angekündigte „Generalsanierung“ von hochbelasteten Schienenkorridoren mit Komplettsperrungen wie ein Alptraum mit Ansage erscheinen. Das ist auch für die Wirtschaft insgesamt ein Problem, denn anders als im Personenverkehr können riesige Gütermengen nicht einfach als „Ersatzverkehre“ auf die Straße geleitet werden, wo es ohnehin nicht genügend Lkw und Fahrer gibt.

Gemeinsam koordinieren

Die Schweizer Unternehmen fordern eine vermeintliche Selbstverständlichkeit: „Erst müssen Umleitungsstrecken betrieblich und infrastrukturell ertüchtigt werden, dann kann mit einer umfassenden Streckensanierung begonnen werden“, mahnen sie. Und sie geben die Hoffnung nicht auf, dass sich zur besseren Koordinierung auf dem Rhein-Alpen-Korridor doch noch alle Beteiligten an einen Tisch setzen. Ziel dabei: eine aktive Koordination der Anforderungen des Infrastrukturausbaus einerseits und eines marktfähigen Verkehrsangebots andererseits.

Author: Regina Weinrich

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