EU respektiert Schweizer Regeln im Straßengüterverkehr weiterhin 21/01/25
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EU respektiert Schweizer Regeln im Straßengüterverkehr weiterhin
Seitdem die Verhandlungen zwischen EU und Schweiz über ein institutionelles Rahmenabkommen 2021 gescheitert sind, ließen sich die bilateralen Verträge über die wirtschaftlichen Beziehungen – etwa im Verkehr – nur noch mühsam weiterentwickeln. Kurz vor Weihnachten haben sich beide Seiten geeinigt, wie die Regeln künftig an neue EU-Gesetzgebung angepasst werden. Zahlreiche Schweizer Sonderrechte bleiben jedoch bestehen.
Es bleibt dabei: Lkw mit einem Gesamtgewicht über 40 Tonnen sind in der Schweiz nicht zulässig und internationale Transportunternehmen dürfen in dem Alpenstaat keine Kabotageverkehre anbieten. Auch andere Regeln aus dem bestehenden Landverkehrsabkommen zwischen EU und Schweiz akzeptiert die EU-Kommission weiterhin, obwohl sie von EU-Vorschriften abweichen. Kurz vor Weihnachten haben sich beide Seiten darauf geeinigt, wie sie ihre bilateralen Abkommen über wirtschaftliche Beziehungen weiterentwickeln wollen. Als Gegenleistung für den Zugang ihrer Unternehmen zum EU-Binnenmarkt verpflichtet sich die Schweiz grundsätzlich, ihr Recht „dynamisch“ an neue EU-Vorschriften anzupassen. Allerdings gibt es spezifische Ausnahmen, zum Beispiel im Landverkehrsabkommen.
Die Einigung nach rund acht Monaten Verhandlungen eröffne die Chance, „unsere Beziehungen fit für die Zukunft zu machen, damit sie auch in diesen schwierigen Zeiten Schritt halten und beide Seiten ihr Potenzial voll ausschöpfen können“, sagte der auf Kommissionsseite Hauptverantwortliche, EU-Handelskommissar Maros Sefcovic. „Wie bei allen Verhandlungen galt es, das richtige Gleichgewicht zu finden – indem wir die Interessen der Europäischen Union wahren und gleichzeitig die Anliegen der Schweiz aufmerksam anhören“.
Eigene Mautpolitik weiter möglich
Verteidigt hat die Schweiz zum Beispiel das Nacht- und Sonntagsfahrverbot für Lkw und ihr Lkw-Mautsystem, die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) mit „höchstmöglichen Abgabesätzen“. Diese ist für Bern ein entscheidendes Instrument, das in der Verfassung verankerte Ziel einer Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene zu erreichen. Die Einnahmen sind wichtig für die Finanzierung der Bahninfrastruktur. Nach Angaben der Regierung (Bundesrat) setzte die Schweiz durch, dass sie die LSVA weiterentwickeln kann, „ohne dass dazu das Landverkehrsabkommen angepasst werden muss“. Zudem wird in dem Abkommen bekräftigt, dass die Schweiz die Straßenkapazität durch die Alpen nicht ausbauen wird. Weiter angeglichen werden sollen allerdings zum Beispiel technische Normen sowie Zulassungs- und Sozialvorschriften.
Beim Bahnverkehr wurde laut Bundesrat vereinbart, dass die Zusammenarbeit mit der EU-Eisenbahnagentur ERA zunächst vorübergehend weitergeführt wird und „in Zukunft vertieft werden kann, ohne dass die ERA für den Bahnverkehr in der Schweiz zuständig wird“. Die Kooperation soll vor allem eine einfachere Zulassung von Rollmaterial im grenzüberschreitenden Verkehr ermöglichen.
Schweiz muss Beihilfen überprüfen
Zugesagt hat die Schweiz eine „kontrollierte“ Öffnung ihres Marktes für Personenzugverkehr. Der Taktfahrplan der Eidgenossen bleibt allerdings geschützt. Das bedeutet laut Bundesrat, dass ausländische Bahnunternehmen internationale Verbindungen in der Schweiz nur anbieten können, wenn für den Schweizer Streckenteil Fahrmöglichkeiten außerhalb der gesicherten Trassen für den nationalen Taktverkehr der Personenzüge und für den Güterverkehr zur Verfügung stehen. Die EU-Staaten dürfen im Gegenzug aus denselben Gründen ihren Unternehmen in ihren Netzen ebenfalls Vorrang einräumen. Bei der Vergabe von grenzüberschreitenden Bahnangeboten darf die Schweiz für ihren nationalen Streckenteil zudem auf öffentliche Ausschreibungen verzichten. In der EU sind diese ab diesem Jahr Pflicht.
Viel diskutiert wurde während der Verhandlungen über die Kontrolle staatlicher Subventionen. Ein mit der EU vergleichbares System gibt es in der Schweiz bisher nur für den Luftverkehr. Nun müssen in dem Alpenland innerhalb von sechs Jahren Überwachungsbehörden für die Beihilfenkontrolle im Strommarkt und im Landverkehr aufgebaut werden. „Im Landverkehr bestehen keine Beihilfen, die nicht mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sind“, teilte der Bundesrat allerdings mit.
Kabotage wird im Luftverkehr erlaubt
Neuerungen gibt es beim Luftverkehrsabkommen. Dieses regelt den gegenseitigen Marktzugang für die Airlines. Künftig gewähren sich EU und Schweiz auch Kabotagerechte (die sogenannte 8. und 9. Luftverkehrsfreiheit). Das heißt, eine Schweizer Airline darf auch Flüge innerhalb von EU-Staaten anbieten, etwa von Frankfurt nach Hamburg. Im Gegenzug dürfen EU-Airlines auch Inlandsflüge in der Schweiz ins Programm nehmen. Zudem wird sich die Schweiz künftig am EU-Forschungsprogramm für den Luftverkehr, SESAR 3, beteiligen. Das Abkommen regelt zudem die Teilnahme der Schweiz am einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky – SES) und die Mitarbeit bei der EU-Agentur für Flugsicherheit (EASA).
Nachdem die Schweiz 2021 die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen, das für alle bilateralen Verträge gelten sollte, hat platzen lassen, werden institutionelle Fragen nun in jedem der künftig sieben Binnenmarktabkommen einzeln geregelt. Wichtig ist hierbei, dass sich die Schweiz verpflichtet, neue EU-Vorschriften, die diese Binnenmarktabkommen betreffen, „dynamisch“ zu übernehmen – von den ausgehandelten Ausnahmen abgesehen. „Dynamisch“ heiße aber nicht „automatisch“, betont der Bundesrat. Er könne die Übernahme von EU-Recht im Einzelfall ablehnen. Dann bekommt die EU allerdings das Recht, „Ausgleichsmaßnahmen“ festzulegen. Bei EU-Rechtsakten, die sie übernehmen muss, erhält die Schweiz ein Mitspracherecht in der Gesetzgebung (Decision Shaping).
Neues Schiedsgericht wird eingesetzt
Streit über die Auslegung von Vorschriften, soll zunächst weiter in den existierenden „gemischten Ausschüssen“ ausgetragen werden. Wird man sich dort nicht einig, kann ein neues, paritätisch besetztes Schiedsgericht angerufen werden. Geht es bei dem Streit um die Auslegung von EU-Recht, muss dieses Schiedsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beiziehen. Sind die Schweiz oder die EU der Ansicht, die andere Seite befolge eine Entscheidung des Schiedsgerichts nicht, dürfen sie „verhältnismäßige Ausgleichsmaßnahmen“ festlegen, die wiederum vom Schiedsgericht überprüft werden können.
Die ausgehandelten Abkommen müssen von den Gesetzgebern beider Seiten nun geprüft, unterzeichnet und ratifiziert werden.
Frank Hütten